Eine Zukunft, die bewahrt werden muss
Trotz der wichtigen UNESCO-Anerkennung steht die Glockenkunst heute vor einer entscheidenden Herausforderung für ihr Überleben. Mit dem Aufkommen automatischer Systeme hat sich die Zahl der Glockenläuter verringert, wodurch jahrhundertealte Techniken gefährdet sind.
In Umbrien bewahren Gubbio und Arrone diese Tradition weiterhin, und zeigen der Welt, wie eine alte Kunst noch heute berühren und verbinden kann. Ihre Leidenschaft ist ein Aufruf, dieses Erbe nicht im Schweigen untergehen zu lassen.
Die „Campanone“ von Gubbio – ein Symbol der Einheit
In Gubbio gibt es etwa fünfzehn Glockenläuter, und um einer zu werden, muss man eine Ausbildung bei der örtlichen Glockengemeinschaft durchlaufen. Am Ende erhält der neue Glockenläuter das erkennbare rote Hemd und tritt in die „Compagnia dei Campanari di Gubbio“ (Glockenspieler-Vereinigung von Gubbio) ein, die offiziell 1981 gegründet wurde, aber in Wirklichkeit seit Jahrhunderten besteht.
Die majestätische „Campanone“ des Palazzo die Consoli, die 1769 installiert wurde, ist ein Wahrzeichen der Stadt und eine Ikone der eugubinischen Tradition. Mit über 2,50 Metern Gesamthöhe und fast zwei Tonnen Gewicht ist sie mehr als ein Denkmal – sie ist ein lebendiges Element der lokalen Kultur. Jedes Jahr begleitet der Glockenklang während des „Festa dei Ceri“ die Feierlichkeiten und vereint die Gemeinschaft in einem einzigartigen Moment der Zusammengehörigkeit.
Das Läuten der „Campanone“ ist nicht nur ein technischer Akt, sondern ein emotionales Erlebnis für Läuter und Zuhörer gleichermaßen.
Arrone – Glockenkunst inmitten mittelalterlicher Dörfer
Auch in Arrone ist die Kunst der Glockenmeister ein wesentlicher Bestandteil der lokalen Identität. Im Jahr 2002 wurde dort die Gruppe „Campanari di Arrone“ gegründet, mit dem ursprünglichen Ziel, die alten Glocken der Kirche San Giovanni Battista wieder zum Klingen zu bringen.
In diesem Glockenturm befinden sich zahlreiche Glocken: In der Mitte hängt die größte Glocke, verziert mit feinen Bronzemotiven, die den Schutzpatron und den Stadtturm von Arrone darstellen, gekrönt von einem wild gewachsenen Olivenbaum – ein kraftvolles Symbol für Resilienz und Tradition.
Neben der großen Glocke gibt es drei weitere: die Mittagsglocke, die mittlere Glocke, die den Schulbeginn anzeigte, und schließlich die kleinste Glocke, die die Arroneser zur Versammlung rief. Eine Inschrift erinnert an deren Neuguss nach der Zerstörung während des Aufstands von 1799.
Kuriosität: Glocken „im Glas“ läuten
Die Glockenkunst verbindet Kraft, Rhythmus und Gestik in einem jahrhundertealten Dialog zwischen Körper und Bronze.
In Umbrien wird eine Mischtechnik praktiziert: feststehende Glocken mit Klöppel, kombiniert mit dem majestätischen Schwingen der großen Glocke.
Doch die eigentliche Besonderheit Umbriens ist die außergewöhnliche Technik des „Läutens im Glas“ („a bicchiere“), bei der der Glockenläuter mit einer athletischen und präzisen Bewegung die Glocke in vertikale Position bringt – mit der Öffnung nach oben. Diese Bewegung, bei der nicht nur Arme, sondern auch die Füße eingesetzt werden, gehört zu den spektakulärsten und anspruchsvollsten – ein Beweis dafür, dass die Glockenkunst ein echtes Erbe körperlicher Fertigkeit, Koordination und lebendiger Tradition ist.
Jeder Klang, jede Bewegung erzählt eine alte Geschichte – und der Körper des Glockenmeisters ist ihr Interpret, eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft.
Glocken, die Geschichten und Legenden erzählen
Neben Gubbio und Arrone gibt es in Umbrien noch weitere Orte mit Geschichten und Legenden rund um ihre Glocken:
- Glocke von Sant’Emiliano: Man erzählt sich, dass in der Nacht, als der Schutzpatron von Trevi im Jahr 304 enthauptet wurde, eine Glocke von selbst zu läuten begann. Ihr Klang war so stark, dass er im ganzen Gebiet zu hören war.
- Glocken des Klosters Santa Maria Maddalena: Am 22. Mai 1457, dem Todestag von Margherita Lotti – der späteren Heiligen Rita – begannen die Glocken des Klosters von Cascia wie von unsichtbarer Hand zu läuten.
- Glocken von Montone: Im Jahr 1473, als Carlo Fortebracci, Sohn des berühmten Söldnerführers Braccio da Montone, der Stadt eine Reliquie der Heiligen Dornenkrone schenkte, begannen die Glocken von selbst zu läuten. Das Ereignis wird noch heute jedes Jahr beim „Fest der Heiligen Dornen-Spende“ gefeiert.
- Glocke der Madonna delle Scentelle: In Grotti, einem Ortsteil von Sant’Anatolia di Narco, soll eine Frau ihr Gold in die Glockenschmelze geworfen haben, als Dank für eine empfangene Gnade. Obwohl die Glocke heute gestohlen wurde, erinnern sich einige noch an ihren unverkennbaren Klang.
- Der Glockenläuter von Ferentillo: Im Mumienmuseum erzählt man, dass einer der dort aufbewahrten Körper zu einem unglücklichen Glockenläuter gehört, der vom Turm stürzte, während er für seine Geliebte die Glocken läutete.