Die erste Station der zweiten Route ist der umbrischen Hauptstadt gewidmet. Für den Künstler war diese Stadt stets ein wichtiger Bezugspunkt: Es ist kein Zufall, dass die Hauptstraße der Stadt nach Pietro Vannucci benannt ist, ebenso wie die erste städtische Kunstsammlung, die Pinacoteca Civica „Pietro Vannucci“, die den Grundstein für die heutige Galleria Nazionale dell’Umbria bildete. Genau hier, in der Galleria von Perugia, einem der bedeutendsten Museen mit einer Fülle italienischer Meisterwerke, beginnt unsere Route. Untergebracht in den prachtvollen Sälen des Palazzo Comunale, beherbergt dieses Museum die weltweit größte Sammlung von Werken Pietro Vannucci.
Gleich zwei Säle sind ihm gewidmet: Saal 16 im dritten Stock und Saal 23 im zweiten Stock. Die Werke in Saal 16 zeigen den künstlerischen Werdegang des Malers von seinen Anfängen bis hin zu seinen ersten wichtigen Aufträgen, die ihn zum gefragtesten Künstler Italiens machten. Hier befinden sich die schönen und rätselhaften Tafeln des San Bernardino, die in Zusammenarbeit mit einer Gruppe von Malern entstanden, die Pietà del Farneto, die wunderbare Anbetung der Heiligen Drei Könige, die kleine, aber kostbare Verkündigung Ranieri, die Imago pietatis (der einzige erhaltene Teil eines seiner Meisterwerke, der Pala dei Decemviri, ursprünglich für die Kapelle dieses Palastes geschaffen und heute auf mehrere Orte verteilt), das Gonfalone della Giustizia sowie die Madonna della Consolazione. Saal 23 im zweiten Stock widmet sich hingegen ausschließlich den Meisterwerken aus Vannuccis reifer Schaffensphase, als der Maler seine Arbeit in Umbrien konzentrierte und schließlich 1511 seine florentinische Werkstatt schloss. In diesem Raum sind die großen Altarbilder zu sehen, die die charakteristischen Merkmale des Künstlers widerspiegeln: sanfte und anmutige Madonnen, die an die Züge seiner jungen Ehefrau Chiara Fancelli erinnern, tänzelnde Engel, ekstatische und elegante Heilige, von Türmen geprägte Städte im Hintergrund, weite und wasserreiche Landschaften, leuchtende und changierende Farben, mit Blumen und Felsen durchzogene Ecken und das Licht eines ewigen Frühlings, das die Gemälde von Vannucci durchdringt.
In der Corso Vannucci in Perugia kannst du eines der größten Meisterwerke Pietro Peruginos bewundern: die Fresken im Nobile Collegio del Cambio, die zwischen 1496 und 1500 entstanden. Die Münzwechsler, die heutigen Bankiers, waren eine äußerst mächtige Zunft und erhielten Mitte des 15. Jahrhunderts das bedeutende Privileg, ihren Sitz im Palazzo Comunale zu haben. Die Dekoration des Sala delle Udienze, in dem die Versammlungen der Wechselrichter stattfanden, wurde Pietro Perugino anvertraut, dem damals berühmtesten Maler Italiens. Vannucci gestaltete an den Wänden des Saals einen bedeutenden Freskenzyklus mit einem komplexen ikonografischen Programm, das vom Humanisten Pietro Maturanzio entwickelt wurde. Im Mittelpunkt steht die Idee der Entsprechung zwischen heidnischer Weisheit und christlichen Tugenden. Laut der übermittelten Botschaft dieser Malereien finden die Kardinaltugenden der antiken Persönlichkeiten, die hier dargestellt sind, ihre vollkommene Erfüllung in Christus. Zwischen wunderschönen Grotesken und weiteren Ornamenten fällt das rundliche Gesicht eines seriös wirkenden, fünfzigjährigen Mannes besonders auf: Es ist das Selbstporträt des Künstlers, der sich stolz in der darunter stehenden Inschrift als egregius pictor („hervorragender Maler“) bezeichnet.
Unsere Perugia-Route auf den Spuren des Künstlers endet im Stadtteil Borgo Sant’Angelo: Hier, im Klarissenkloster Sant’Agnese, malte Vannucci im Jahr 1522 – ein Jahr vor seinem Tod – ein Fresko mit der Madonna delle Grazie zwischen den Heiligen Antonius der Große und Antonius von Padua. Zu ihren Füßen sind zwei kleine Figuren der Auftraggeberinnen zu sehen: Schwester Eufrasia und Schwester Eustochia. Die heutige Ordensgemeinschaft lebt weiterhin in Klausur, doch Papst Leo XIII., einst Bischof von Perugia, hob die Klausurregel für die Kapelle mit den Fresken auf, um die Besichtigung des Kunstwerks zu ermöglichen.